„Netzneutralität“ ist ein schillernder Begriff in der netzpolitischen Debatte. Er stammt ursprünglich aus der Diskussion über Quality of Service (QoS), Netzwerkmanagement, Regulierung und Preise auf dem US-Telekommunikationsmarkt. Markus Beckedahl (www.netzpolitik.org) und andere „Blogivisten“ in Deutschland und Europa (wie z.B. La Quadrature du Net – http://www.laquadrature.net ) nutzen ihn allerdings heute längst nicht mehr nur in dem ursprünglichen Sinne, sondern haben ihn längst auf jede Art „Gatekeeper“ im Netz erweitert. Die dadurch mögliche Begriffsverwirrung aber kann sich in Deutschland als politisch schädlich erweisen: Wer ernsthaft Gesetze gegen die grundsätzliche Möglichkeit von Netzwerkmanagement und „Quality of Service“ durch die Internetprovider fordert, wird enttäuscht sein, dass er damit nicht den freien Fluss von Informationen oder gar die Freiheit des Netzes von (staatlicher) Inhaltskontrolle sichern kann, sondern lediglich höhere Preise für Verbraucher und schlechtere Leistung des Netzes erreichen wird. Eine abstrakte Forderung, dass alle IP-Pakete gleich zu behandeln sind, ignoriert die technischen und ökonomischen Anforderungen des Netzes und das unterschiedliche Nutzer unterschiedliche Ansprüche haben, die ohne Unterschied an Leistungen und Preise nicht zufriedenzustellen sind. Wem es aber lediglich darum geht, dass z.B. Mobilfunkanbieter nicht einzelne Ports oder Dienste blockiert, der aber wiederrum soll das auch so konkret benennen. Besser den schillernden Begriff der „Netzneutralität“ meiden und zur Sache zurückkommen: Denn gegen eine Politik von Zensur und Willkür hilft nur freiheitliche und demokratische Politik!
Enger Begriff der Netzneutralität
Schauen wir uns erst einmal den „echten“ Begriff der US-Debatte um Netzneutralität an (siehe auch: http://en.wikipedia.org/wiki/Network_neutrality_in_the_United_States). Auch die deutsche Wikipedia definiert nah am US-Original: „Netzneutralität ist eine Bezeichnung für die neutrale Datenübermittlung im Internet. Sie bedeutet, dass Zugangsanbieter (access provider) Datenpakete von und an ihre Kunden unverändert und gleichberechtigt übertragen, unabhängig davon, woher diese stammen oder welche Anwendungen die Pakete generiert haben.“
In den USA wurde der Begriff in der Diskussion gegen eine künstliche Bepreisung von „Quality of Service“ in der Telekommunikation (TK) geprägt. Telekommunikationsunternehmen blockierten Dienste z.B. auf den Ports 25 oder 80, z.B. um VoIP-Dienste oder Filesharing zu verhindern. Eine Nutzung dieser Ports sollte – wenn überhaupt – erst nach Zusatzzahlungen des Kunden eröffnet werden. Zudem wurden anscheinend bestimmte Datenströme (Filesharing, Google, Youtube etc.) beim Datenaustausch zwischen den Netzwerken verschiedener TK-Unternehmen z.T. künstlich de-priorisiert, weil es zwischen diesen TK-Unternehmen Auseinandersetzungen um (faire) Interconnection-Entgelte und Kosten der Verkehrslasten gab. Beide Seiten gaben daraufhin wohl recht viel Geld für Lobby-Aktivitäten aus, um ihre entgegen gerichteten ökonomischen Interessen mit Hilfe der Politik durchzusetzen. Inzwischen scheint in wesentlichen Eckpunkten ein ökonomischer Konsens erreicht zu sein (siehe http://news.cnet.com/8301–30684_3-10380709–265.html).
Diese US-Debatte in Deutschland nachzuvollziehen, würde nicht passen: Denn sie hat etwas mit der Andersartigkeit der (Inter-Carrier-) Preismodelle in den USA zu tun und passt auf Deutschland gar nicht. Auch weil in Europa die Zuständigkeit z.B. der Bundesnetzagentur (BNetzA) für die Regulierung auch der Infrastrukturen des Internets – anders als bei der FCC in den USA – nicht umstritten ist. Zudem haben sich die Streitparteien in den USA auch schon weitgehend geeinigt, so dass sich der Streit entschärft hat – vgl. nur das Google/Verizon-Papier http://news.cnet.com/8301–30684_3-10380709–265.html .
Auf der europäischen Ebene wird mittlerweile seitens vieler Unternehmen die Notwendigkeit des Network Management für QoS herausgestellt. Gemeint ist damit, dass gewisse Netzsteuerungen insbesondere auch aus Endkundensicht erforderlich sind, um ein zufriedenstellendes Diensteangebot erbringen zu können (vgl. etwa: http://www.laquadrature.net/files/net.confidence.coalition.pdf). Jedenfalls in Deutschland aber geht damit – jedenfalls von Seiten der TK-Unternehmen – nicht die Idee einher, die bisherige Qualität des Netzes künstlich zu verschlechtern. Beschwerden gibt es in diesem Zusammenhang wohl auch überhaupt nicht gegenüber Festnetzanbietern, sondern Mobilfunkbetreibern.
In Deutschland gibt es für eine „Netzneutralitätsdebatte im engeren Sinn“ daher – wenn überhaupt – vielleicht eine Rechtfertigung gegenüber Mobilfunk-Betreibern, wenn diese beispielsweise Ports sperren, damit man nicht VoIP über HSDPA oder W‑LAN mit seinem Handy durchführen kann – obwohl dieses dazu technisch in der Lage wäre. Oder vielleicht auch gegenüber Unternehmen wie Apple, deren iPhone und iPads Anwendungen aussperren, die deren (moralischen) Vorstellungen widersprechen.
Wer hiergegen etwas unternehmen will, der sollte jedoch ganz konkret Ross und Reiter benennen und fordern, diesen Unternehmen (z.B. durch regulatorisches Eingreifen der BNetzA) derartige Blockaden zu untersagen. Dieses wäre der BNetzA z.B. durch die Definition von technischen Mindeststandards im Datenverkehr für den Mobilfunk möglich. Schlicht falsch jedoch wäre es, per Gesetz abstrakt eine generelle „Gleichbehandlung“ aller Daten in einem Netzwerk zu verlangen oder gar „Quality of Service“ und Network Management verbieten zu wollen, weil die Dienstequalität entweder über das „normale“ Maß hinausgeht oder nicht den von der BNetzA ggf. noch zu definierenden Mindeststandard unterschreitet.
Wer das dennoch tut, belegt zwar, dass er sich unter Internet und Telekommunikation nicht mehr vorstellen kann, als Flatrate-Websurfen via ADSL oder Filesharing, tut aber weder den Nutzern noch dem Internet etwas Gutes: Die größte Wertschöpfung entsteht als Ergebnis des Preiskampfes im Endkundenmarkt in Deutschland nämlich längst nicht mehr dort, sondern bei Internetdiensten und Telekommunikation für Unternehmen. Diese Kunden aber sind dringend auf QoS und Network Management im Netz angewiesen, um überhaupt mit dem Internet arbeiten zu können und auch bereit, entsprechende Mehrkosten zu tragen. Diese aber wiederrum ermöglichen erst den weiteren Ausbau des Internets.
Denn:
- Mindestens für Unternehmenskunden, die hochbitratige konstante Verbindungen für Videokonferenzen, Logistik, etc. benötigen, ist QoS/Network Management (klare Leistungsvorgaben zu „packet loss“, „jitter“ und „delay“) notwendig – intern und extern über Netzgrenzen der Provider hinweg (vgl. auch hierzu etwa: http://www.laquadrature.net/files/net.confidence.coalition.pdf). Dies gilt aus drei Gründen
(a) Flatrates führen grundsätzlich zu steigendem Trafficvolume
(b) die Medienkonvergenz bringt anspruchsvolle Dienste auf das Netz– z.B. High Volume Live Streaming, Produktionssteuerung etc. Das braucht man insbesondere im Business to Business Bereich – also bei allem, was mehr ist als „ADSL“. Grund (a) beeinflusst (b) zusätzlich negativ.
© QoS/Network Management ist schließlich auch nötig, um beispielsweise DoS-Attacken bekämpfen zu können.
- Überdimensionierung (also einfach alle Leitungen dicker machen) hilft im Vergleich zu QoS/Network Management nicht immer. Aus drei Gründen:
(a) Bottlenecks lassen sich am Übergang zwischen verschieden dimensionierten Netzen nicht ausschließen,
(b) weniger anspruchsvoller Traffic kann deshalb prinzipiell immer anspruchsvollere Dienste stören und
© ist Überdimensionierung auch teurer, weil ineffizient, kostet also per Saldo die Verbraucher mehr.
- QoS-Dienste entsprechen zudem der Nachfrage der Verbraucher: dieser will
(a) alle konvergenten Dienste zu seiner Zufriedenheit nutzen – was beispielsweise auch die Möglichkeit von netzseitiger Spam-Blocking – bedeutet, und
(b) dafür möglichst wenig zahlen bzw. nur für das mehr zahlen, was er wirklich auch haben will und tatsächlich bekommen kann.
(a) offene Standards für verschiedene Verkehrsklassen,
(b) klare und transparente Standards für die Behandlung von Verkehrsklassen,
© Gleichbehandlung des Traffics in den Verkehrsklassen (keine Unterscheidung intern/extern) und
(d) transparentes Monitoring dieser Regeln
(e) faire Interconnection-Entgelte zwischen den TK-Unternehmen, orientiert an den realen Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung, je Verkehrsklasse und Traffic.
Wenn das Prinzip der Netzneutralität also lediglich darauf hinauslaufen sollte, dass Network Management für QoS verboten werden soll, weil damit eine Differenzierung unterschiedlicher Verkehrsarten verbunden ist, dann bedeutet dies, dass die Forderung nach Netzneutralität insgesamt zur Disposition gestellt wird.
Wenn also im politischen Raum über Netzneutralität diskutiert wird, dann wäre es falsch, die Frage von QoS und die vorgenannten Hintergründe auszublenden. Man kann nicht einfach nur auf der abstrakten Ebene definieren, dass alle IP-Pakete gleichzubehandeln sind, und dabei vergessen, dass unterschiedliche Nutzer unterschiedliche Ansprüche haben. Es gibt einfach die Erwartung, dass wenn ich einen Video-Stream anschaue oder per VoIP telefoniere und dazu parallel einen Download starte, alles nebeneinander störungsfrei funktioniert (und zwar am besten egal, welche Bandbreite der Anschluss hat). Wie man das ohne QoS/Network Management und komplett ohne jede Differenzierung machen will, ist jedenfalls technisch nicht nachvollziehbar.
Daher sollte man diesen Teil der Debatte dahin verlagern, wo er eigentlich hingehört: In die Bundesnetzagentur und hier ggfs. politischen Druck machen, damit hier endlich eine nach Geschäftskunden- und Verbraucherbedürfnissen differenzierte und an politischen Zielen orientierte, aktive und zukunftsgerichtete Regulierung stattfindet und nicht nur – wie bislang leider so oft – der Markt vorrangig entsprechend der Bedürfnisse und Vorstellungen einiger weniger Unternehmen lediglich verwaltet wird…
Weiter (politischer) Begriff der Netzneutralität
In Deutschland wird der Begriff im politischen Raum inzwischen zudem offensichtlich auch schon ganz anders verstanden und benutzt: Gemeint ist oftmals eine generelle (technische) Neutralität der Internet-Infrastruktur gegenüber Internet-Inhalten, sprich den vermittels diesen Infrastrukturen verbreitete Content.
Mit einem solchen ausgeweiteten und politisch aufgeladenen Begriff von „Netzneutralität“ soll längst nicht mehr die Diskussion um QoS/Network Management, sondern die gesamte Auseinandersetzung über Internet-Sperren, Deep-Packet-Inspection, providerseitige Filterung etc. erfasst werden:
“Net neutrality means that the Internet has no gatekeeper. It encompasses all the issues related to the circulation of information on the Internet, such as free speech, access to knowledge, copyright or innovation. Thanks to this principle, everyone retain the freedom to access and produce the information they want, regardless of their financial capacities or social status.” http://www.laquadrature.net/
Hiergegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden – nur darf die Debatte dann eben auch nicht als Debatte gegen die Leistungs- und Preismodelle von Unternehmen geführt werden, mit dem Ziel, QoS anbieten und angemessen bepreisen zu können, zu verbieten.
Es geht um die Freiheit – nicht um Network Management!
Ich persönlich halte den Begriff der „Netzneutralität“ wegen seiner überkommenen ökonomischen Belegung nicht für hinreichend differenziert, aber auch sonst nicht gut geeignet, eine sachgerechte Debatte um Regulierung und Freiheit des Netzes zu befördern.
Über Begriffe kann man natürlich trefflich streiten. Aber, selbst dann gilt: Es kann doch nicht ernsthaft darum gehen, eine für Deutschland überhaupt nicht passende US-Preisdebatte anzufachen! Auch eine „All IP-packages shall be equal“-Debatte erschiene mir als unpolitischer Unsinn. Besser wäre es doch, sich auf das zu konzentrieren, was doch eigentlich im Zentrum steht: Der Kampf um die Freiheit im Internet und gegen die Freiheit bedrohende Eingriffe in die technischen Infrastrukturen des Netzes – egal ob durch Behörden oder Unternehmen.
Welchen Begriff man dafür auch verwenden will – diese Debatte muss ganz dringend wieder politisch und nicht romantisch oder schlimmer lediglich an symbolischen Zielen geführt werden!
Natürlich kann man Gesetze fordern, die gleich schon die MÖGLICHKEIT einer staatlichen Zensur durch Eingriffe in die Infrastruktur des Netzes ganz einfach generell per Gesetz verbieten sollen. Das aber wäre so, als ob man den „Weltfrieden“ durch Gesetz beschließen wollte. Wenn man so etwas wie das „Zensurverbotsgesetz“ nicht lediglich als politisches Symbol begreift (ich aber befürchte ja inzwischen, das nehmen manche Menschen tatsächlich ernst), dann würde sich das als eine mindestens romantische, eher aber völlig unpolitische Haltung zu den Problemen des Internet entlarven, weil ein anderer Gesetzgeber dieses Gesetz ja einfach durch sein genau entgegengesetztes Zensurgesetz aufheben würde.
So anstrengend es ist: In einer Demokratie muss man zur Absicherung politischer Überzeugungen wie der Freiheit im Internet schlicht gesellschaftliche Mehrheiten erringen und erhalten – das lässt sich nicht durch ein Gesetz gleichsam für die Zukunft programmieren. Dagegen als Folge falsch verstandenem Netzpopulismus QoS und Network Management zu beseitigen, könnte am Ende zwar zu einer Art „sozialistischem Volksnetz“ führt, das aus Steuermitteln oder Umlagen zu bezahlen wäre – wegen der internationalen Struktur der Telekommunikationsnetze jedoch auch nicht verhindern könnte, dass an den Netzgrenzen der Bundesrepublik der Datenverkehr dann eben doch wieder unterschiedlich priorisiert wird.
Also: Schluss mit einer lediglich symbolischen „Netzneutralität“-Debatte, liebe Freunde. Zurück zur Sache, bitte!
[…] Dieser Eintrag wurde auf Twitter von jlenzhawliczek, Jan Moenikes erwähnt. Jan Moenikes sagte: Ich hab mal ein paar kritische Gedanken zur Debatte um #Netzneutralität aufgeschrieben: Zurück zur Sache, bitte! http://bit.ly/apZG1y […]
Lieber Jan,
vielen Dank für diesen guten Beitrag. Ich wollte so etwas ähnliches auch in den nächsten Tagen für vorwaerts.de schreiben, aber du hast mir die Arbeit abgenommen :-).
Nur: Dass ein ISP den Port 80 blockt, halte ich für fragwürdig…
[…] Gedanken zur Netzneutralitätsdebatte: Zurück zur Sache, bitte! (Jan Mönikes) – Jan Mönikes äußert sich zur Debatte rund um die Netzneutralität. […]
[…] Mönikes auf moenikes.de: Gedanken zur Netzneurtalitätsdebatte – zurück zur Sache bitte Holger Schmidt auf netzoekonom.de (faz.net): Google zur Netzneutralität: “Wir bleiben dem […]
Sehr guter Artikel. Mich (als Ingenieur) nervt schon lange diese unsinnige Diskussion, dass man Netzmanagement und QoS verbieten soll. Es muss mal ganz klar gesagt werden: Es gibt kein TK-Netz ohne Netzmanagement!
Schließlich werden die Daten ja nicht durch göttliche Fügung über das Netz übertragen, sondern durch einen bewusst gesteuerten technischen Prozess. Ein Unterpunkt davon ist das Netzmanagement (traffic engineering). QoS beschreibt in diesem Zusammenhang lediglich eine bestimmte Verkehrsklasse(n) des ISP inklusive Peering.
Leider benutzen in der Netzneutralitätsdiskussion viele Leute diese Fachbegriffe ohne zu wissen, was sie bedeuten. Wie so immer in solchen Konstellation wird dann versucht einen (technisch) komplexen Zusammenhang auf die eigene Vorstellungswelt herunter zu brechen und auf der Basis Schlussfolgerungen zu ziehen. Das hat noch nie funktioniert …
[…] Daher kritisiere ich seit längerem besonders ein Verständnis, dass den Begriff der Netzneutralität als “Wunschmaschine” für eine ideologische Debatte missbraucht, als Projektionsfläche für irgendwie alles, was man politisch für richtig befindet: Von der naiven Idee getrieben “leave the internet alone” oder “all bits are created equal”, bis hin zu dem schlichten Wunsch, die eigenen, bislang nicht befriedigend funktionierenden Geschäftsmodelle dadurch profitabel(er) zu bekommen, dass die Kosten notwendiger Erweiterungen eigener Infrastruktur künftig auf die Allgemeinheit umgelegt werden sollen, um (endlich) mehr Gewinne privatisieren zu können. Welches Motiv auch jeweils bestimmend sein mag: Ich halte jedes Einzelne von dieser Art für sehr gefährlich (vgl. Gedanken zur Netzneutralitätsdebatte: Zurück zur Sache, bitte!)! […]