Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich hat mit undifferenzierten Äußerungen zur Anonymität im Internet einmal mehr die Vorurteile bestätigt, Politiker wie er wären „Internetausdrucker“ und nicht in der Lage, die tatsächlichen Probleme des globalen Netzes zutreffend zu beschreiben, geschweige denn sachgerecht und in einer der Demokratie und Freiheit verträglichen Sinne zu lösen. So sehr ich die Kritik an den undifferenzierten Gedankengängen des Ministers teile, so sehr ärgere ich mich zugleich aber über ebenso falsche und undifferenzierte Gegenargumente. Daher ein kurzer Zwischenruf:
Im Interview mit dem SPIEGEL forderte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich sinngemäß ein „Ende der Anonymität im Internet“ und stellte dabei auch die Frage „Warum müssen ‚Fjordman‘ und andere anonyme Blogger ihre wahre Identität nicht offenbaren?“ Anstatt ihm jedoch darauf einfach zu antworten: „Wussten Sie nicht? Müssen die doch schon längst, jedenfalls wenn für einen Norweger wie ‚Fjordman‘ deutsches Recht gelten würde“, auf die Impressumspflicht der §§ 5 TMG, 55 RStV hinzuweisen und anschließend nachzufragen, was er denn eigentlich meint, denn Pseudonymität ist im Internet nicht allein schon aufgrund der technischen Bedingungen die Regel, sondern sie ist wie die Anonymität sogar vom deutschen Gesetzgeber ausdrücklich erwünscht (siehe §§13 TMG VI und §47a RStV), gehen statt dessen aber die Diskussionsbeiträge so mancher Kritiker wieder einmal in eine Richtung, die es Minister Friedrich für meinen Geschmack anschließend viel zu leicht machen, vor dem „Chaos der Gesetzlosigkeit“ zu warnen und von „dümmlichen Reaktionen“ und „intellektueller Plattheit“ zu sprechen und sich so auch noch Zustimmung organisieren zu können.
So sehr ich die Kritik an den undifferenzierten Gedankengängen des Ministers daher teile, so sehr ärgere ich mich daher zugleich über ebenso falsche und undifferenzierte Gegenargumente. So krankt beispielsweise die Pro-und-Contra-Diskussion zwischen Falk Lüke und Christian Füller in der TAZ daran, dass beide ihre Argumente ausgerechnet aus untauglichen Beispielen ableiten:
Falk Lüke erklärt sein „PRO“ im wesentlichen damit, dass Anonymität der Standard wäre, mit dem wir uns auch auf der Straße bewegen würden und Christian Füller sein „CONTRA“, dass ein Anonymus z.B. in Wikipedia in seinem Artikel einfach so alle neuen Textteile löschen und ihm auch sonst unerkannt nachstellen könnte.
Beides aber trifft nicht: In der „realen Welt“ gibt es überhaupt keine Anonymität, die mit dem im Internet möglichen Maß fehlender Zuordenbarkeit einer Handlung zu einer Person vergleichbar wäre. Denn auch wenn wir „auf der Straße kein Namensschild tragen“, so sind wir dort NIEMALS anonym unterwegs. Denn wir haben mit unserem Körper nicht nur zwingend DAS „Biometrische Merkmal“ schlechthin dabei, sondern sind im Konfliktfall selbst dann „in persona“ greifbar, wenn wir unser Gesicht vermummen. Namen erleichtern insoweit lediglich die Zuordnung zu einer Person, ihr Fehlen ist jedoch nicht mit mangelnder Identifizierbarkeit, also Anonymität gleichzusetzen. Zudem macht das Fehlen eines Namensschildes auf der Straße die Zuordnung einer Handlung zu einer Person nicht unmöglich. Auch ohne Namen bleibe ich dort immer greifbar und damit ggfs. auch ohne meinen Willen später einem Namen zuordenbar. Konsequent gilt daher beispielsweise als „Fahrerflucht“ im Sinne des §142 StGB das „Unerlaubte Entfernen vom Unfallort“ und nicht etwa der Umstand, dass der Unfallbeteiligte nicht seinen Namen nennt oder gar einen Ausweis vorgezeigt hätte. Selbst ein namenloser Mensch kann in „real world“ für eine Tat haftbar, verurteilt und bestraft werden, wenn seine Identität als Täter feststeht.
In der körperlosen Welt des Internet ist Pseudonymität dagegen schon aufgrund der technischen Bedingungen die Regel und selbst Anonymität sogar vom deutschen Gesetzgeber erwünscht und in §§13 TMG VI und §47a RStV sogar dem Diensteanbieter vorgeschrieben. Das kann aber eben nur für Nutzer, nicht für Anbieter im Internet gelten! Denn Anonymität kann zwar der Meinungsfreiheit dienen, darf aber nicht zur völliger Verantwortungslosigkeit führen. Das würde weder der Freiheit, noch dem Recht dienen und allein einseitig die Opfer anonymer Taten belasten.
Natürlich kann man behaupten, schon die Impressumspflicht widerspräche dem Grundgedanken der anonymen Nutzung des Internet und der freien Meinungsäußerung. Diese Behauptung ignoriert aber, dass die Impressumspflicht nur für diejenigen gilt, die Dienste anbieten, nicht aber für alle Personen, die das Internet und seine Dienste aktiv nutzen. Man kann zudem im Internet auf zahlreiche Arten seine freie Meinung äußern, ohne dass man dafür gleich selbst Anbieter eines Dienste werden muss. Um seine Meinung kundzutun, ist es nicht erforderlich, eigene Webseiten anzubieten, Blogs oder gar öffentliche Foren zu betreiben. Es gibt zahlreiche andere Möglichkeiten im Internet, wie man als Teilnehmer anonym mit anderen diskutieren kann. Und es gibt zahlreiche andere gute Gründe als nur problematische Inhalte, warum der Betreiber eines Dienstes nicht anonym bleiben darf: Ohne Kenntnis des Betreibers lässt sich auch nicht kontrollieren, ob er Datenschutzbestimmungen oder andere Gesetze zum Schutze der Nutzer überhaupt einhält. Zudem führt auch in „real live“ die Identifizierbarkeit eines Sprechers nicht etwa dazu, das „Minderheiten verstummen“ würden. Um Meinungsfreiheit nachhaltig auch dort durchzusetzen, wo sie bislang unterdrückt wird, bedarf es vielmehr mutiger Menschen, die mit ihrem Namen und ihrem Gesicht auch öffentlich darum politisch kämpfen. Aus der Anonymität heraus lassen sich jedenfalls keine Demokratien errichten oder auch nur bewahren.
Gerade wenn man für die Beibehaltung von Anonymität im Internet weltweit streitet, muss man also im Umkehrschluss akzeptieren, dass dann (eben auch weltweit!) der Anbieter (also auch der Betreiber eines Forums oder Blogs) einer Impressumspflicht nachzukommen hat und ihn dann zugleich auch eine (eingeschränkte) Verantwortung für den von ihm betriebenen Dienst und die von ihm verbreiteten Inhalte trifft.
Wikipedia eignet sich demgegenüber nicht als Gegenbeispiel. Denn hier will der Betreiber, die Wikipedia Foundation mit den sie finanzierenden Wikimedia-Vereinen, gerade KEINE entsprechende Verantwortung für den eigenen Dienst übernehmen und verweist daher bislang im Konfliktfall stattdessen auf die individuellen IP- und Anmeldedaten des Nutzers hinter seinem Pseudonym. Gerade die IP-Adresse aber ist ein Datum, das anders als in Deutschland und hier nicht zuletzt nur aus Gründen des Datenschutzes, in vielen anderen Ländern der Welt eben keine Anonymität bedeutet. In der Konsequenz des „Computer-Decency-Acts“ der in den USA den Diensteanbieter als „Intermediär“ freistellt, werden die Daten über die Nutzer umfassend gespeichert und beauskunftet. Risiko und Kosten der eigenen Inhalte verlagern Ebay & Co. somit auf die Nutzer. Kein nachahmenswertes Modell, wie ich finde.
Da Wikipedia also diesbezüglich beides leugnet, sowohl eine eigene Verantwortung, als auch einen wirksamen Schutz ihrer Autoren durch Gewährleistung echter Anonymität, lässt sich mit diesem Beispiel umgekehrt aber nicht begründen, warum Anonymität im Internet künftig gar nicht mehr gestattet sein sollte, sondern höchstens, dass sich Wikipedia zukünftig nicht mehr auf ihre „Wiki-Immunity“ berufen (dürfen) sollte.
Sowohl die Argumente für Pro, als auch die Argumente für Contra, führen daher in die Irre und sind nicht geeignet, das zu widerlegen oder zu stützen, was der Innenminister vielleicht im Kern eigentlich nur ausdrücken wollte:
Auch im Internet sollte man zu seiner Meinung stehen müssen, wenn man sie nicht am Stammtisch oder im Familienkreis, sondern öffentlich und weltweit verbreitet. Wenn der Nutzer aber anonym bleiben können soll, dann muss im Konfliktfall zumindest sonst jemand als Verantwortlicher identifizierbar bleiben, der vielleicht nichts „dafür“, aber wenigstens etwas „dagegen“ tun kann, um bestehende Konflikte zu lösen. Und notfalls eben dazu auch verpflichtet werden kann.
So verstanden würde die Forderung von Minister Friedrich nichts anderes bedeuten, als das, was (nicht nur) in Deutschland schon gilt, auch international als Standard zu vereinbaren: Wenn jemand in seinem Internetangebot anonyme Äußerungen/ Inhalte Dritter (z.B. Kommentare wie hier) zulassen will, dann ist eben er als Seitenbetreiber dafür (beschränkt im Rahmen des technisch möglich und auch sonst zumutbaren) verantwortlich. Und wenn der Seitenbetreiber anonym agiert, ist in letzter Konsequenz eben der Host-Provider in Anspruch zu nehmen, der dieses zulässt.
Allein in solch einem System der Verantwortung des „Intermediär“ lässt sich auch nachhaltig rechtfertigen, warum es dann umgekehrt nicht nur die Möglichkeit, sondern vielleicht auch überall ein RECHT auf Pseudonymität oder gar Anonymität der Nutzer im Internet geben sollte. Und so wäre nicht nur der Freiheit, sondern auch der Verantwortung geholfen – ohne Schaden für Bürgerrechte und Demokratie. Aber, vielleicht meinen das ja alle schon so und nur ich habe Minister Friedrich, seine Kritiker und Unterstützer mit ihren Argumenten einfach noch nicht richtig verstanden…
Nehmen Sie es mir nicht übel, dass ich diesen Kommentar unter (m)einem Pseudonym verfasse. Identifizierbar bin ich ohnehin als Betreiber mehrerer Internetpräsenzen. Dass ich auch noch eine davon hier angebe, ist womöglich grob fahrlässig? Also als solcher kann ich schon gar nicht mehr anonym sein, selbst wenn ich es wollte. Dennoch ziehe ich es vor, ein Pseudonym zu verwenden, um den Marketingstrategien diverser Internetfirmen das Spiel mit dem SPAM nicht zu einfach machen zu wollen. Für automatisierte Verknüpfungen durch Search- Bots und Harvester- Technologien bin ich immerhin teilanonymisiert, für Recherche- Spezialisten allerdings in wenigen Minuten enttarnt. Diesen kleinen Vorteil möchte ich mir von einem ins Sommerloch rufenden Bundesinnenminister nicht auch noch nehmen lassen. Traurig und schauderhaft jedoch ist die somit offengelegte Schlussfolgerung, dass der Bundesinnenminister die deutsche Rechtslage offensichtlich nicht kennt und eine Forderung stellt, die absolut hinfällig in Deutschland ist. Die Auffassung, dass es eigentlich keine Anonymität in der „realen“ Welt gibt, „die mit dem im Internet möglichen Maß fehlender Zuordenbarkeit einer Handlung zu einer Person vergleichbar wäre“, kann ich so nicht teilen. Es ist zweifellos möglich, einen anoymnen Anruf zu tätigen, es ist durchaus möglich, sich anonym durch die Fussgängerzone zu bewegen. Die Zuordnung von personifizierenden Merkmalen funktioniert oft erst durch die Verknüpfung mehrerer Identifikationsmerkmale. Was wären die legendären Agentenfilme ohne gefälschte Pässe dann noch wert gewesen? Selbst in der heute so technokratischen Welt wird trotz DNA- Spur und Fingerabdruck nicht jeder Täter überführt. Offensichtlich gelingt es einigen Zeitgenossen immer noch, sich ausreichend anoym durch die Welt zu bewegen. Es wird zunehmend schwieriger, aber ich behaupte sogar, dass die Anonymität im Internet zu bewahren inzwischen schwieriger ist als in der anlogen Welt. Die Kriminalstatistiken machen es deutlich. Um so merkwürdiger finde ich die ständigen Regulierungsforderungen bezüglich der digitalen Welt. Wenn ein Dr. Hans- Peter Friedrich die Anonymität von Bloggern und Kommentatoren aufheben möchte, sollte er mit der Kennzeichnungspflicht von Bundespolizisten beginnen.
Ich habe nichts gegen Anonymität oder Pseudonymität, im Gegenteil: Ich finde ja sogar, es sollte ein weltweites Recht darauf geben. Ich argumentiere nur gegen diejenigen, die mit einem Recht auf Anonymität eigentlich ein Recht auf Verantwortungslosigkeit meinen. Und hier besteht der Irrtum: Ich kann vielleicht mit falschen Pässen und Namen wie im Agentenfilm auf der Straße unterwegs sein und ich kann in der Masse auch namenlos bleiben und mich zumindest unerkannt fühlen. Da ich aber meinen Körper auf der Straße immer dabei habe, kann ich dort – anders als in der Telekommunikation und damit auch im Internet – dennoch nie in dem selben Maße „anonym“ bleiben, wie mir das in einem rein technischen Umfeld möglich ist. Denn im virtuellen Raum bin ich beim Fehlen eineindeutiger oder auch nur falscher Zuordnungsmerkmale eben nicht zumindest körperlich „greifbar“ und daher auch schon grundsätzlich ohne Feststellung der Identität nicht in Verantwortung zu nehmen. Ob man jemanden aber tatsächlich „erwischt“ oder nicht, ändert an der Richtigkeit dieser grundsätzlichen Aussage nichts. Egal ob in „real live“ oder im Internet.
Lieber Jan,
danke für Deine Meinung zu dem Pro, ich bin mir aber nicht ganz sicher, ob Du es gelesen hast. Ich habe explizit geschrieben, dass Anonymität im Sinne des Sprachgebrauchs der Standard ist, Anonymität zugleich aber ein theoretisches und kein praktisches Konstrukt ist, wir also Pseudonym unterwegs sind („der Typ mit dem Schlips und der Halbglatze“). Das macht deine weiteren Ausführungen zwar nicht weniger interessant, aber Deine Argumentation dass die geführte Diskussion „falsch“ sei etwas absurd…
Grüße
Falk
Lieber Falk,
doch, ich denke ich hab das schon sehr genau gelesen: „Anonymität ist dabei der Standard, mit dem wir uns bewegen. Auf der Straße tragen wir kein Namensschild. Wer in Gorleben, Stuttgart oder an anderen Orten demonstriert, ist anonym in der Masse unterwegs.“ Deine weiteren Ausführungen relativieren das dann in der Tat zwar dahingehend, dass wir praktisch doch nur pseudonym unterwegs sein könnten, weil es „natürlich […] immer wieder Möglichkeiten,“ [gebe] „unsere grundsätzliche Unbekanntheit aufzuheben“. Nur ist Dein Beitrag ja einer, der „PRO Anonymität im Internet“ argumentieren will (so verstehe ich zumindest den Kontext und die Überschrift) und dafür halte ich diese Argumentation trotz einer solchen Relativierung für ungeeignet, weil unzutreffend. Denn im Internet ist, anders als auf der Strasse und anders, als sich aus Deiner Argumentation für mich ergibt, wegen der Körperlosigkeit der (technischen) Handlungen in der Praxis durchaus echte Anonymität und nicht lediglich (aufhebbare) Pseudonymität verwirklichbar. Ich stimme Dir zwar zu, dass „das Unbehagen gegenüber der „anonymen Masse“ im Internet, die sich in Teilen unflätig benimmt, […] nur zum Teil der Anonymität geschuldet“ sei, zum Teil aber ist es das eben doch, wie Du ja selbst einräumst.
Wenn man also „unserem“ Innenminister das Argument des „Chaos der Gesetzlosigkeit“ durch Anonymität wirklich aus der Hand schlagen will, geht es meines Erachtens nicht, indem man in dieser Weise für oder gegen Pseudonymität oder Anonymität argumentiert, sondern vielmehr die Verantwortlichkeit thematisiert. Also nicht allein „eine Diskussion um Verhaltensregeln, Normen und Anstand“ führt, sondern zugleich die Frage beantwortet, wer notfalls für Abhilfe sorgen kann und muss, wenn „manche […] sich schlicht nicht zu benehmen“ wissen. Manche (ich weiß, Du nicht), die für Anonymität im Internet plädieren, lehnen das aber meines Gefühls nach zumindest für sich ab. Sie wollen offensichtlich wirklich kein gestuftes System der Verantwortlichkeit des Anbieters, aber sehr wohl ein Recht auf Anonymität. Auf netzpolitik.org gab es da mal vor kurzem so ein schönes Negativbeispiel in einem Beitrag von Linus über einen Plakatwettbewerb, bei dem ein Provider Nachricht bekommen hatte, das er nach Ansicht des ECO volksverhetzende Inhalte verbreiten würde und sich darüber mal wieder mit dem Ruf „Zensur, Zensur“ laut beschwerte. Schade, dass der Beitrag und die Diskussion dazu offenbar nicht mehr verfügbar sind oder keine Ahnung, warum ich ihn nicht mehr finde… Aber da wurde genau diese Haltung transportiert. Und das spielt dann Leuten wie Friedrich politisch voll in die Hände.
Es ist nun mal aus meiner Sicht schlicht so: Wer Anonymität und Pseudonymität im Internet erhalten will (wie Du und ich) muss in der Konsequenz die Verantwortlichkeit des Anbieters als Intermediär akzeptieren. Wer aber keine Verantwortlichkeit des Intermediär akzeptieren will, der kann nicht für Anonymität, höchstens für Pseudonymität plädieren – muss dann aber dafür Vorratsdatenspeicherung und Auskunftsansprüche für jegliche Art von Gesetzesverletzung akzeptieren. Wer aber sowohl das Eine nicht will, als auch das Andere nicht akzeptiert, der spielt damit nur den „Feinden eines freien Internet“ in die Hände, weil sie damit die Angst vor dem „Chaos der Gesetzlosigkeit“ richtig gut begründen können.
Beste Grüße,
Jan
Lieber Jan,
ich denke wir sind hier nicht weit auseinander, nur ist natürlich des verantwortlichen Pudels Kern dann doch wieder die Frage: was folgt aus eben jener „Verantwortlichkeit“? Ist es eine Haftbarkeit, die der des Originalautoren/Urhebers/Störers gleichzusetzen ist? Die präventive Sicherungsmaßnahmen erfordert? Das würde auf eine faktische Abschaffung jeglicher Anonymität und Pseudonymität gegenüber dem Betreiber eines Dienstes hinauslaufen. Ich denke, eine Haftbarkeit des Intermediärs (und nein, der ISP ist für mich kein Intermediär im Sinne dieser Diskussion) die nach Kenntniserlangung zur Einleitung angemessener und zumutbarer Schritte seitens dieses Intermediärs verpflichtet, das ist vertretbar. Nur, und das muss ich Dir ja keineswegs sagen: das Detail ist hier maßgeblich.
Deinen Punkt „wegen der Körperlosigkeit der (technischen) Handlungen in der Praxis durchaus echte Anonymität und nicht lediglich (aufhebbare) Pseudonymität verwirklichbar. “ teile ich im Übrigen nicht. Gerade hier ist die Verkettbarkeit durch die Statifizierung jedweder Art von Äußerung so maßgeblich, dass hier kaum von Anonymität im eigentlichen Sinne jenseits der Theorie gesprochen werden kann.
Nun ja, eigentlich würde mir persönlich als Standard ein System reichen, wie es in Deutschland heute schon generell gilt: Der Anbieter verantwortet eigene Angebote voll, Fremde nur ab konkreter Kenntnis im Rahmen dessen, was für ihn technisch möglich und auch sonst zumutbar ist. Nicht jedem ISP, sondern nur dem Hostprovider sind daher überhaupt Verpflichtungen auferlegbar. Eine Vorabkontrollpflicht gibt es generell nicht und selbst die Zurechenbarkeit ab Kenntnis führt zu keiner Rechtsfolge, die über die Pflicht zur Unterlassung für die Zukunft hinausginge. Und auch der inhaltliche Maßstab, an dem gemessen wird, kann kein anderer sein, als er sonst für Freiheitsrechte wie die Meinungsfreiheit gilt, denn das Internet darf kein bürgerrechtsfreier Raum sein.
Was die Anonymität betrifft, so ist es im Internet nur theoretisch möglich jegliche Verschleierung aufzuheben. In der Praxis aber sind spätestens Nutzer die Anonymizer und Remailer verwenden nicht identifizierbar. Das was Du vielleicht meinst („Verkettbarkeit“), also eine Zuordnung durch inhaltliche Analyse früherer Äußerungen, ist dagegen keine Identitätsfeststellung im rechtlich verwertbaren Sinne. Zudem geht es bei der ganzen Debatte ja nicht nur um Meinungsäußerungen. Aber selbst da kann sich höchstens ein Verdacht ergeben, aber nichts Vergleichbares, was bei gleichem Geschehen in der „Real World“ gegeben wäre. Der namenlose Täter auf der Strasse kann auch ohne Identitätsfeststellung ergriffen werden, der identitätslose Täter im Internet dagegen nicht.
Hallo Jan,
dann mal anhand von deinen Beispielen:
Sind mit Masken vermummte Chaoten innerhalb einer eskalierenden Demonstration anhand ihres Körpers identifizierbar? Ich denke nicht, solange sie nicht „körperlich“ von Strafverfolgungsbehörden ergriffen werden können. Ich halte dies sehr wohl für Anonymität im realen Leben. Auch wenn ich ohne Maske, aber dafür mit verändertem Erscheinungsbild in der Masse auftrete, ist eine weitgehende Anonymität dadurch erreicht. Die scheinbare Anonymität, wo ich in einer Menschenmenge in meinem gewohnten Erscheinungsbild auftrete, hebt zunehmend meine Anonymität auf. Anonymität erfordert also sowohl in der analogen als auch in der digitalen Welt eine gewisse Verschleierungsstrategie. Im Internet erreicht man dies z.T. durch Anonymisierungsdienste, Proxies usw. Eine Vorratsdatenspeicherung würde diese Anonymität aus der anderen Richtung aufheben, sofern man die IP- Adresse als Identifikationsmerkmal betrachten würde, was ja nicht grundsätzlich so sein muss. Immerhin könnte man technisch den Wirkungsgrad der Anonymität erheblich aufweichen. Hierin sehe ich die große Gefahr und das eigentlich wahre, angestrebte Ziel unserer Innenminister seit mindestens Otto Schilly.
Sorry, genau das stimmt nicht, zumindest nicht grundsätzlich. Der „Täter im Reallife“ ist ja nur ohne Identifikation zu ergreifen, wenn man es „auf frischer Tat“ schafft. Der „identitätslose Täter“ im Internet wäre nach Stand der Technik, würde man alles juristisch zulassen, deutlich besser zu identifizieren. Dass die Aufklärungsquote bei Internetdelikten (trotz fehlender VDS) gegenüber den konventionellen Straftaten so eklat höher liegt, bestätigt diese Argumentation.
Praxisbeispiel: In unserem Intranet (und das ist gewaltig groß) ist es im Fehlerfall (z.B. übermäßig viele Loops oder Traffic) üblich, die Fehlerquelle zu finden und den Fehler zu beheben. Bis auf die Anschlussdose genau, läßt sich zurückverfolgen, wo der „Fehler“ auftritt. Das ist in einer verhältnismäßig homogenen IT- Infrastruktur problemlos möglich. Im heterogenen Internet ist diese Vorstellung durchaus auch realistisch, erfordert aber einen erhblichen Aufwand, der weniger von technischer Natur geprägt wäre. Die VDS wäre hierfür ein Meilenstein, ohne diesen Aufwand betreiben zu müssen.
Konform gehe ich jedoch mit dir, Jan, dass die TAZ- Beispiele recht unglücklich gewählt wurden. Das ändert aber nichts daran, dass die Möglichkeit zur Anonymität ein wichtiger Bestandteil der lebenden Demokratie darstellt und der Inenminister diese untergraben möchte und sich dabei auf eine Tat beruft, die nun rein gar nichts mit dieser Thematik zu tun hat. Außerdem könnte man ihm jederzeit entgegen halten, dass er zunächst vor der eigenen Haustür fegen sollte, wenn er Anonymität aufheben möchte. In meinem Blogartikel bzw. meinem Brief ans BMI zu diesem Thema habe ich dazu entsprechend gewichtigere Argumente aufgeführt.
Gruß,
J.D.
Hi Johannes,
vorweg: Ich plädiere FÜR ein Recht auf Pseudonymität, sogar Anonymität im Internet, nicht dagegen. Aber eben nur für Nutzer von Internetangeboten, nicht für die Anbieter. Sonst könnten sich auch betrügerische Seitenbetreiber darauf berufen und das kann es ja wohl ernsthaft nicht sein, meine ich. Das ändert aber nichts daran, dass ich Deiner Argumentation nicht folgen kann:
Masken können vielleicht Deine Identität verschleiern. In der realen Welt bleibst Du aber mindestens auf frischer Tat körperlich verfolgbar und greifbar. Anders im Internet: Dort bist Du, wenn Du nicht „demaskiert“ werden kannst, selbst auf „frischer Tat“ nicht fassbar. Das ist schon ein großer Unterschied!
Nur weil es hinkt, ist es noch kein passendes Beispiel 😉 Euer Intranet ist etwas ganz anderes als das Internet, denn im „Netz der Netze“ hat man über Netzinfrastrukturen nur Kontrolle bis zur Grenze des eigenen Netzes. Und das Internet ist heute gerade eben KEIN homogenes Netz. Der „erhebliche Aufwand“ den Du andeutest, wäre übersetzt nichts anderes, als ein kompletter Umbau der heutigen Telekommunikationsinfrastrukturen. Klar, damit könnte man vielleicht bestimmte Vorstellungen von „Netzneutralität“ erfüllen, aber mit der Beseitigung der Heterogenität der Netze würde man ein (re-terretorialisiertes) „Internetz“ schaffen, das mit unserem heutigen Internet nur noch das IP-Protokoll gemein hätte. Und das würde zumindest ich für politisch überhaupt nicht wünschenswert halten.…
Das Argument mit der „eklatant höheren Aufklärungsquote“ kann ich zudem bislang nicht nachvollziehen, so treffend es ja wäre: Die Polizei z.B. in NRW beklagt ja gerade die sinkende Aufklärungsquote , wenn auch mit meines Erachtens falscher Schlussfolgerung. Aber, in der Tat darf man ja nicht einfach die absoluten Zahlen vergleichen, sondern immer nur die Quoten gleicher Taten. Bei Betrug beispielsweise ist die Aufklärungsquote insgesamt bei 76%. Da Betrugsdelikte 80% aller Straftaten im Internet ausmachen, deutet eine Aufklärungsquote von nur insgesamt 64% aller Taten im Internet m.E. nicht darauf hin, dass es im Internet eine signifikant höhere Aufklärungsrate geben würde, als in „Real World“, selbst wenn leider die spezifischen Angaben dazu in der Statistik fehlen.
Die EU-weite VDS könnte tatsächlich die Anonymität/ Pseudonymität von Nutzern zumindest bis zu ihrem Teilnehmeranschluss aufdecken, wenn eine gespeicherte IP-Adresse bis dorthin aufgelöst werden kann. Daraus resultiert ja gerade die Forderung der Sicherheitsbehörden. Im Internet lässt sich das aber selbst dann über Anonymizer, Mixer etc. die Identität in einer Weise verschleiern, die ein Maß an Anonymität ermöglichen, die sich so im normalen Leben nicht herstellen ließe. Nur: Die Debatte hat keinen wirklichen Bezug zu meiner Forderung nach einem generellen System der Verantwortung der Anbieter, ihrer Impressumspflicht usw. Selbst wenn der Anbieter einer Website absolute Anonymität herzustellen vermag, soll er das meines Erachtens nicht dürfen und man ihn notfalls von seinem Host-Provider oder aus dem Rootverzeichnis löschen lassen können. Diesbezüglich spielt die Frage nach der VDS also gar keine Rolle. Und: In der Tat schmeißt der Innenminister hier wieder alles irgendwie zusammen, um dann doch nur wieder seine alte Platte abzuspielen. Nur: Wenn wir seine Undifferenziertheit kritisieren, sollten wir uns selber unzutreffender Argumente möglichst enthalten, finde ich. Ich fand die TAZ-Beispiele deshalb so exemplarisch, weil sie die Argumentationslinie einer Vielzahl weiterer Beiträge widerspiegeln, die man überall im Internet nachlesen kann. Und das macht es dann eben der anderen Seite wieder leicht, die eigentlich berechtigte Kritik zu diskreditieren. Das finde ich problematisch.
Beste Grüße, Jan
Hallo Jan,
ich habe durchaus erkannt, dass du im Wesentlichen ein freiheitliches Internet zu erhalten versuchst.
Anbieter von Internetangeboten, sind zumindest in Deutschland wegen der Impressumspflicht u.ä. sowieso weder anonym noch pseudonym. Das ist ja hinlänglich geklärt und braucht nicht jedesmal wieder erwähnt zu werden.
Das habe ich nie bestritten, sondern explizit auf diesen Umstand hingewiesen, wie man anhand meines vorherigen Kommentars nachvollziehen kann. „Die frische Tat“ und die unmittelbare Ergreifung der Person, die sie begangen hat, ist aber keineswegs immer verknüpft. Vermummte, die Autos anzünden, dabei von Kameras gefilmt werden und im Dunkel der Nacht verschwinden, sind durchaus Realität. Da darf man ganz bestimmt von anonymen Tätern sprechen?
Das ist falsch, zumindest nicht durchweg richtig. Ich habe (als Beispiel) in einem PayPal- Betrugsversuch anhand von Phishing- Mails die Spur des Täters bis zum Anschluss des Rechners im entsprechenden Gebäude zurück verfolgen können. Diese Informationen habe ich dem zuständigen LKA übergeben. Das LKA hatte aufgrund meiner Anzeige sogar die Möglichkeit, die Daten von PayPal und involvierten (deutschen) Firmen einzusehen, was mir als (beinahe) Geschädigter nicht gestattet wurde. Die Spuren für eine erfolgversprechende Rückverfolgung waren auswertbarer wie die des geflüchteten Vermummten mit der dunklen Skimaske. Das Verfahren wurde eingestellt, weil man keine Aussicht auf Erfolg sah. In Wirklichkeit (was unbewiesen im Raum stehen bleibt) hätte eine Strafverfolgung allein über die technischen Datenspuren mindestens sehr nahe zum Täter geführt, deutlich näher als beim vermummten Autoanzünder. Das Verhältnis von Arbeitsaufwand zum Schaden war allerdings nicht relevant genug. Das verstehe ich zwar, wurde so aber nicht an mich kommuniziert. „Hätte man eine VDS zur Verfügung, dann…“
Genauso gut hätte man mit ausreichend Personal und etwas Motivation selbt ohne VDS ein ansehliches Ergebnis erreichen können.
Ich bin IT’ler und brauche sicher keine Belehrung darüber, wie sich ein Intranet vom Internet unterscheidet. Trotz dass das Internet heterogen aufgebaut ist, gibt es technisch eine Vielzahl von systembedingten Standards. Beispielsweise wurde per Default der Port 80 dem Protokoll HTTP zugewiesen. Beispielsweise ist für die technische Funktion eines Netzwerkadapters in den üblichen Netzstrukturen eine MAC- Adresse erforderlich. Das ist änderbar und nicht zwingend, hat aber dann u.U. erhebliche Nachteile, die niemand ohne wichtigen Grund eingehen würde. DNS ist auch so ein Beispiel…
Das Festlegen diverser Standards macht es erst möglich, dass das Internet so funktioniert wie es funktioniert. Die Adressbereichserweiterung von IPv4 auf IPv6 ist beispielsweise eine umfassende und einschneidene Änderung eines Standards, der Möglichkeiten als auch Probleme bescheren wird. Das ist ein erheblicher Aufwand, aber auch kein kompletter Umbau. Wie das politisch zu bewerten ist, steht auf einem völlig anderen Blatt.
Vollkommen richtig. Man wird ja inzwischen beinahe dazu genötigt, auch wenn man keine kriminellen Absichten hegt, sondern nur vom angeschlagenen Recht der Meinungsfreiheit Gebrauch machen möchte. Ich persönlich habe damit kein Problem und auch sicher nicht „das organisierte Verbrechen“, aber die Dummen bleiben definitiv die ahnungslosen Internetnutzer, die dann zufällig und ohne Vorsatz mal dem falschen Link gefolgt sind: z.B. http://www.bka.de
Gruß,
J.D.
Lieber Jan,
ich kann mich daran erinnern, dass ich dir dieses konzept leicht abgeändert vor ca. 1 1/2 Jahren vorgestellt habe, mit der Bittte uns weiterzu empfehlen. Du hast es damals zerrissen es als „unterkomplex„kritisiert, die Argumentation mit der Verbindung nicht durchsetzungsfähiger Rechtsgüter als „Hilfskonstruktion“ bezeichnet
Nun nimmmst du die wesentlichen Bestandteile des Algorhithmus , und zimmerst deine eigene, leider weniger taugliche Version darum. Ich finde es drollig, unsere eigenen Argumente ein Jahr später notdürftig verkleidet auf deiner eigenen Seite zu lesen. Warum eigentlich dann keine Empfehlung?
Spiel‘ nicht mit den Kellernkinder?
Gruß,
Stefan Herwig
Lieber Stefan,
na ja – selbst mehr als „leicht abgewandelt“ besagte Dein Konzept etwas ganz anderes, als das, worüber ich in dem Beitrag schreibe: Ich verteidige hierin „nur“ das bereits heute in Deutschland bestehende System der rechtlichen Verantwortung des Intermediär als grundsätzlich richtig und zielführend und verwahre mich zugleich gegen eine Haltung, die Anonymität als Synonym für Meinungsfreiheit missversteht, anstatt die Meinungsfreiheit selbst zu verteidigen. Denn mit Letzterer wird ja gerade auch derjenige geschützt, der offen und namentlich seine Meinung vertritt. Diese Freiheit zu verteidigen muss aber m.E. das politische Ziel sein und nicht nur die Möglichkeit, hinter eine Maske frei sprechen zu können. Letzteres muss aber erhalten bleiben. Das allerdings ist etwas, was ich mich erinnere, Du gerade für falsch hälst.
Du dagegen wirbst zudem ja auch noch für etwas ganz Anderes: Ausgehend von Deinen Metaphern aus der Welt der Straßenverkehrsregeln, zeichnest Du über Autokennzeichen, Ampeln und Führerscheine das Bild eines analogen Systems von Regeln für das Internet. Der Adressat Deiner These, nämlich der deutsche Staat, könnte das im heutigen Internet aber gar nicht umsetzen. Der Referenzrahmen, an den Du adressieren willst, ist in Wahrheit gar nicht vorhanden. Es gibt keine Weltregierung und ich halte sie auch nicht für zwingend wünschenswert. Ich halte Dir das seit damals entgegen und habe es u.a. auch hier https://www.moenikes.de/2010/05/11/das-internet-als-neuer-raum-des-rechts-herausforderung-fur-den-demokratischen-rechtsstaat/ und in vielen weiteren Vorträgen beschrieben.
Der Vorwurf, dass Deine diesbezüglichen Überlegungen „Unterkomplex“ waren, erhalte ich daher in voller Überzeugung aufrecht: Denn so hilfreich und treffend im Einzelfall Analogien und Metaphern sein können, um etwas zu verdeutlichen und die Komplexität einer Debatte zu reduzieren, so können sie dennoch nie zutreffend die Basis eines Lösungsmodells für ein komplexes Problem sein, höchstens gedankliche Anregung liefern. Sascha Lobo hat dazu hier http://www.spiegel.de/netzwelt/web/0,1518,794089,00.html alles gesagt. Über die Metapher der „Strassenverkehrsregeln für das Internet“ reicht Dein „Konzept“ aber in Wahrheit nicht hinaus, denn es fehlen ihm im Kern konkrete Lösungen, die über das Bekannte (darunter untaugliches oder abzulehnendes) hinausweisen würden. Daher wüsste ich immer noch nicht, was ich daran „empfehlen“ sollte.
Als „Kanalarbeiter“ hat man im Übrigen aber keine Probleme damit, wenn man „Kellerkindern“ begegnet. Daher freue ich mich auf unsere nächste Begegnung und weitere Diskussionen 🙂
Gruß,
Jan
Lieber Jan,
jetzt bin ich aber noch etwas mehr enttäuscht als vor einem Jahr, denn ich muss leider feststellen, dass du entscheidende Teile unseres Ansatzes nicht ganz begriffen zu haben scheinst. Oder du hast sie vergessen, oder nur unbewusst kopiert. Was Dir lieber ist.
„Ich verteidige hierin “nur” das bereits heute in Deutschland bestehende System der rechtlichen Verantwortung des Intermediär als grundsätzlich richtig und zielführend und verwahre mich zugleich gegen eine Haltung, die Anonymität als Synonym für Meinungsfreiheit missversteht, anstatt die Meinungsfreiheit selbst zu verteidigen. Denn mit Letzterer wird ja gerade auch derjenige geschützt, der offen und namentlich seine Meinung vertritt. Diese Freiheit zu verteidigen muss aber m.E. das politische Ziel sein und nicht nur die Möglichkeit, hinter eine Maske frei sprechen zu können. Letzteres muss aber erhalten bleiben. Das allerdings ist etwas, was ich mich erinnere, Du gerade für falsch hälst.“
Nichts anderes tun wir doch auch. Ich sehe es genauso, dass es für Intermediäre einen Haftunsgrahmen geben muss, der ihnen einerseits Rechts- und Operationssicherheit geben muss, als andererseits auch einen Rahmen, der anonyme Meinungsäusserung, Whistleblowing etc. ermöglicht, ohne gleichzeitig als „Maske“ für Persönlichkeits- Urheberrechts oder Jugendmedienschutzverletzungen dienen zu können. Ist schon komisch, dass wir soweit d’accord gehen, ohne dass du das damals erwähntest. Und natürlich haben wir die Möglichkeit auch weiterhin „hinter einer Marke zu sprechen“ als Teil unseres Algorithmus berücksichtigt.
Leider ist Dir auch ein wesentlicher Teil unserer Systemanalogie verborgen geblieben. Der Fairness halber muss ich sagen, dass wir gerade diesen Teil unseres Konzeptes deutlich weiterentwickelt haben. Ich bleibe nach reiflicher Überlegung nicht nur weiter der Überzeugung, das diese Analogie sehr hilfreich ist, wir haben sie sogar noch verbessert und fokussiert. Das Wesentliche dabei ist die Perspektive auf die *systemische Entwicklung* der gesellschaftlichen Räume, und die Parallelen die man daraus ableiten kann. Wir sagen nicht, dass der eine Raum genauso zu regulieren sei, wie der andere. Das hast Du aber scheinbar so verstanden. Auch gibt es bei der Interationalisierung von Verkehrsregeln interessante Parallelen, die man kennen sollte, bevor man die Systemanalogie (die übrigens definitiv *keine* Metapher ist, und auch keine Allegorie) hinsichtlich nicht machbarer Internationalisierung verwirft. In diesem Falle gebe ich aber gerne zu, dass es der ursprünglichen Präsentation an Definitionsschärfe gefehlt hat. Erst jetzt nachdem wir dies nachgeholt haben, wurde uns wirklich bewusst, wo der Wert der Analogie selbst liegt. Das heisst aber nicht, dass der ursprüngliche Teil falsch gewesen wäre. Der Wert einer Analogie ist dann am höchsten, wenn man ihre Grenzen definiert und die Parallelen exrahiert hat. Und das haben wir getan. Und glaube mir, aus dem Ergebnis kann man nicht nur überraschend viel für die Entwicklung gesellschaftlicher Räume lernen, sonern auch wichtige Empfehlungen für den Bereich „Governance“ ableiten.
Trotzdem halte ich es für äusserst bemerkenswert, dass einige führende Rechtwissenschaftler bei eingehender Untersuchung mehr als nur Sympathie für unser Konzept äusserten, während Du so gar nicht dafür zu begeistern warst. Hinsichtlich der offensichtlichen Analogien in Ansatz, Kriterien und Zielsetzung unserer Analysen ist es sehr schade, dass keine Bereitschaft bestand, hier konstruktiv die Köpfe zusammenzustecken. Nun werden wir dies mit Anderen tun.
Gruß,
Stefan
[…] Um der Sorge vor einer damit einhergehenden Überwachbarkeit des Nutzerverhaltens im Internet zu begegnen, wurden sogenannte “Privacy Extensions” konzipiert. Mit diesen generiert – soweit vom Nutzer gewünscht – ein Gerät im Netzwerk selbstständig einen wechselnden Adressteil, unabhängig von der Hardware-Adresse des Netzwerkadapters (MAC-Adresse), anstatt nur einmalig eine feste Adresse anzulegen. Der Provider-Teil der IP-Adresse wird aber auch in Zukunft spezifisch genug sein, um einen einzelne Nutzer bzw. seinen Internet-Anschluss zu identifizieren. Bei Verdacht auf Straftaten kann daher – wie schon heute bei IPv4 – auch bei dynamisch vergebenen IP-Adressen über den Internet Service Provider ermittelt werden, welchem Anschluss die Adresse zum fraglichen Zeitpunkt zugeteilt war, soweit diese Information noch beim ISP vorhanden sind. An den damit zusammenhängenden (politischen) Fragen ändert sich also in der Praxis auch durch IPv6 nichts: Anonymität bleibt im Internet prinzipiell genauso möglich oder unmöglich wie bisher. […]